Geilsteil

Klettertour
Berchtesgadener Alpen
1150 Hm
Kleiner Bruder
1782 m

Als MSL-Seilschaft sind Bruno und ich bislang erfolglos geblieben. Im August 2019 haben wir uns einmal zur Probstenwand aufgemacht, um die »Brunch« zu klettern. Anfängliche Wegfindungsprobleme und ein kapitaler Ausbruch raubten aber besonders mir die erforderliche Zuversicht, so dass wir unterhalb der Schlüssellänge zum Rückzug bliesen. Noch weniger weit kamen wir Ende Mai 2020 nach coronabedingt österreichvermeidender Anfahrt am Berchtesgadener Hochthron, wo uns Schnee und Nässe im »Schwarzen Sheriff« bereits nach der ersten Länge aufgeben ließen.

Unser Optimismus ist jedoch ungebrochen und so sammelt Bruno mich heute um 05:45 Uhr an unserem üblichen Treffpunkt ein. Corona beherrscht uns noch immer und Bruno hat keinen Nachweis seiner gesundheitlichen Unbedenklichkeit parat, so dass auch heute ein Damoklesschwert über unserem Erfolg hängt. Die Grenzstation ist jedoch verwaist und unbehelligt erreichen wir den Parkplatz, von wo wir um kurz vor acht in die infektiologisch günstige Abgeschiedenheit unseres heutigen Betätigungsfelds starten.

Wir haben uns für einen Zustieg mit Radunterstützung entschieden und wählen dafür im unteren Bereich nicht die ultrasteile und ruppige direkte Forststraße, sondern einen radelbaren Schlenker rechts herum. Weiter oben schieben wir die allzu fordernden Abschnitte. Nach einer guten Stunde und 500 Hm erreichen wir so das Fahrraddepot am Ende der Forststraße. Der folgende Anstieg durch den Wald ist gut markiert und leicht zu finden. Nach einer knappen weiteren Stunde kommen wir am Rucksackdepot an. Von hier sind die Einstiege nicht mehr fern und bequem erreichbar. Ein kleines Schildchen am Beginn der Tour »Geilsteil« bestätigt uns, dass wir richtig sind.

Eine weitere Seilschaft hat heute den Weg hier herauf gefunden und beginnt eben die zweite Seillänge der »Drei Schwestern«. Sie benutzen das Topo von Bergsteigen.com und werden im Tagesverlauf einige Schwierigkeiten haben, sich damit im Routengewirr jenes Wandteils zurecht zu finden. Wir haben ein Topo aus der Wandbeschreibung von Josef Brüderl zur Verfügung, sowie eines von Stefan Stadler, das früher auf Alpenvereinaktiv.com zugänglich war. Inzwischen sind diese Tourenbeschreibungen aus dem Netz verschwunden und haben auch keine Aufnahme in den Führer gefunden, da aus »Naturschutzgründen« nicht an der Wand geklettert werden soll. »Naturschutz« muss dabei wohl als »Schutz der Interessen der Jägerschaft« übersetzt werden. Das Topo von Stadler stellt die eigentliche Topografie der Wand etwas schöner dar und wir werden damit bei der Routenfindung keine Probleme haben. Die vorletzte (elfte) Seillänge wurde in diesem Topo aber offenbar vergessen. Nach unserer Einschätzung passen die Bewertungen des Topos von Brüderl besser, so dass ich sie unten übernehme.

Per Schere-Stein-Papier entscheidet sich, dass Bruno beginnt und um etwa 10:40 Uhr steigt er ein.

1. SL, 7-, Bruno: Nach einigen leichten Metern im geneigten Gelände folgt ein steilerer, leicht brüchiger und überraschend ungängiger Aufschwung.

2. SL, 6, Daniel: Einfache Kletterei führt zu einem halbrunden Absatz, wo der erwartete Stand aber nicht zu finden ist. Nach einigem Auf und Ab entdecke ich ihn etwas versteckt ganz links. Im Topo wäre das so auch eingezeichnet gewesen. Man müsste es halt vorher anschauen.

3. SL, 7+, Bruno: Die Route geht links weiter. Nach einigen schönen Metern an einem schrägen Riss verläuft die Tour unvermittelt nach rechts. Die Felsstruktur gibt das eher nicht vor, so dass man gefühlt gegen die Strömung schwimmt. Nach einigen Irrungen muss Bruno sich anstrengen, um die Onsightbegehung noch zu retten.

4. SL, 7-, Daniel: Die Route führt zunächst fotogen und einfach nach links. Der Empfehlung des Topos folgend, hänge ich die ersten drei Haken lang ein, was mich aber nicht vor erheblichem Seilzug im oberen Teil der Länge bewahrt. Die angedeutete Verscheidung ist trotzdem schön zu klettern. Am folgenden Stand ist das Verbindungsseil durchgeschlagen. Alle andere Stände sind tiptop in Schuss.

5. SL, 7-, Bruno: Leicht rechts böte eine schöne Verschneidung eine direkte Linie. Die Route nimmt aber mit einem Bogen über links einen eher plattigen Verlauf mit Einzelstelle nach der kleinen Stufe.

6. SL, 7-, Daniel: Nun kommt doch noch schöne Verschneidungskletterei, dann folgt eher gestuftes Gelände, das sich mir aber als weitgehend bruchfest präsentiert.

7. SL, 6, Bruno: Die leichteste der mittleren Seillängen. An einer Stelle verstolpere ich es im Nachstieg trotzdem und bringe mich vorübergehend in Bedrängnis.

8. SL, 7-, Daniel: Eher plattig mit einigen griff- und trittarmen Aufschwüngen. Der vorletzte Haken ist etwas schikanös weit rechts angebracht.

9. SL, 6+, Bruno: Gutgriffige Wandkletterei, dann links um die Kante zum Stand. Die benachbarte »Angoraseil« benutzt einige Haken mit und zweigt an einem Wegweiser wieder ab.

10. SL, 7+, Daniel: Relativ einfach geht es bis unter den Überhang. Auch hier gibt es genügend große Griffe, um die erforderlichen Manöver zu studieren. Zunächst geht es hinauf bis direkt unter das Minidach. Dann müssen die Füße nach rechts gebracht werden, was der wohl anspruchsvollste Teil ist. Für die weitere Aufwärtsbewegung stehen wieder gute Griffe bereit, wobei man zwischendrin auch noch einmal innehalten und planen kann. Im Topo von Stefan Stadler ist 8- angegeben, aber in einem Klettergarten wäre die Seillänge wohl maximal mit 7+ bewertet.

Am Ende der Seillänge empfängt mich der wohl schönste Standplatz der Route. In einer kleinen Nische darf ich auf einem bequemen Graspolster Platz nehmen und die Aussicht genießen. Ich bin mit der Welt und mir zufrieden. Schon lange habe ich keine Mehrseillänge mehr so genossen. Heute klappt einfach alles völlig problemlos und stressfrei.

11. SL, 5+, Bruno: Im Topo von Stefan Stadler folgen nun nur noch 40 m im Grad 3+ mit nur vier Haken. Dafür muss Bruno auf den ersten Metern ganz ordentlich klettern und darf auch einiges clippen. Im Topo von Brüderl ist das Gelände in zwei Längen zu 5+ und 3 unterteilt. Den zwischenliegenden Stand überspringt Bruno aber und erreicht nach gut 50 m den letzten Stand an einem einzelnen Haken mit Ring.

Um kurz nach vier Uhr ereiche auch ich den Ausstieg wenige Meter unterhalb des Gipfelkreuzes. Wir haben beide alles im Onsight bzw. Nachstiegsflash klettern können und dabei, wie üblich, etwa 30 min pro Seillänge gebraucht.

Das im Internet gezeigte Gipfelbuch aus den Sechzigern existiert leider nicht mehr. Die Aussicht ist durch einigen Dunst, vielleicht auch Saharastaub, deutlich getrübt. Schön ist es trotzdem.

Wir beginnen unsere Abseilfahrt an einem entsprechend eingerichteten Stand am oberen Ende einer Rampe wenige Meter neben unserem letzten Stand. Es handelt sich wohl um den letzten Stand der »Drei Schwestern«. Nach nochmaliger Lektüre der Abstiegsbeschreibung glaube ich, dass die Rampe eigentlich ein Stück zu Fuß abgestiegen werden und erst weiter unten mit dem Abseilen begonnen werden sollte. Ich habe nicht darauf geachtet, ob es dort einen entsprechenden Stand gibt. Bei unserer Methode reichen die 60-Meter-Seile jedenfalls mit Seildehnung gerade so bis zum nächsten Stand oberhalb des Kamins. Das Abziehen ist außerdem mühsam und mit Steinschlag verbunden, da beide Stränge über fast die gesamte Länge auf dem rauen Fels aufliegen. Der zweite Abseiler führt uns problemlos zu einem Schuttfeld in den Latschen, wo der Fußabstieg beginnt. Dieser wäre ohne die Fixseile und bei Nässe wahrscheinlich wirklich unangenehm, heute ist er allenfalls nervig und in der Saunaatmosphäre zwischen den Latschen extrem schweisstreibend. Die Fixseile sind, wie auch die gekletterte Tour, tiptop angelegt. Nach wohl etwa einer halben Stunde ist das Rucksackdepot erreicht. Von dort brauchen wir noch eine knappe halbe Stunde bis zu den Rädern, die uns in weniger als 15 Minuten zum Auto bringen.

Die Temperaturen waren heute in der Wand bei leicht bedecktem Himmel geradezu perfekt. Meine mit knapp 2,5 l befüllte Trinkblase habe ich erst während des Abstiegs geleert. Ich habe meine sehr alten, RR-neubesohlten Miuras in Komfortgröße 42,5 benutzt, was eine gute Wahl war.

Parkplatz - 630 m - 07:53 Uhr
Radldepot - 1130 m - 09:00 Uhr
Rucksackdepot - 1460 m - 09:56 Uhr
Einstieg - 1460 m - 10:25 Uhr
Kleiner Bruder - 1782 m - 16:05 Uhr
Abstieg - ca. 16:40 Uhr
Parkplatz - 630 m - 18:30 Uhr